Will ich das schon wieder? Dieselbe Frage hat Emely mir gestellt. Und wenn ich ehrlich bin, ist die Antwort nein. Und ich denke, das weiß sie. Deswegen ist Emely mit mir hier. Der Geruch der Taverne ist mir inzwischen so bekannt, dass ich ihn nicht mehr wahrnehme. „Ich nehme an, du willst dasselbe wie immer?“ fragt Emely und wartet meine Antwort gar nicht ab, sondern geht direkt in Richtung Bar. Ich lasse mich an einen Tisch in der Ecke sinken und kurz darauf kommt Emely wieder. „Und? Hast du schon was?“ „Du musst das nicht mit mir machen. Ich brauche das Geld und es ist nicht deine Zukunft wert, dich wegen mir in Gefahr zu bringen.“ „Maya,“ Emely seufzt leise, „fang nicht schon wieder damit an.“ „Ich werde es dir jedes Mal sagen.“ „Und jedes Mal werde ich sagen, dass du das Vergessen kannst. Ich lasse dich nicht allein.“ Ich lächle sie kurz an. In dem Moment kommt die kleine Fee und stellt unsere Getränke ab, bevor sie wieder in der Menge verschwindet. Ich nehme den Zettel, der unter meinem Krug liegt und falte ihn auf. „Und?“ „Genug Geld…,“ ich seufze erleichtert. Das ist gut. Dann muss ich dieses Schuljahr nicht nochmal herkommen. „Du weißt, dass ich dir das Geld geben würde und-“ „Vergiss es, Em.“ Sie seufzt leise, „also?“ „Einbruch in Mörka,“ antworte ich. „Was will jemand denn von da?“ „Anscheinend ein Buch.“ Emely schnaubt leise. „Ich werde diese Anfragen nie verstehen.“ Natürlich wird sie das nicht. „Ich weiß. Komm.“ Ich stehe auf. Je schneller wir das hinter uns haben, desto wahrscheinlicher fällt es niemanden auf, dass wir uns wieder rausgeschlichen haben. Der Weg nach Mörka ist nicht weit. Wieso sie das Gefängnis mitten in die Stadt gebaut haben, werde ich nie verstehen, aber vielleicht ist es nur wieder irgendeine Methode, um uns daran zu erinnern, wie gut wir es haben. „Und hast du schon einen Plan?“ fragt Emely neben mir. Sie hat sich ihre Maske schon über den Mund gezogen. „Ich als Wache, du mein Schatten.“ Inzwischen ist es schon fast Routine. Ich schlüpfe in die Haut einer anderen Person und Emely macht sich unsichtbar und läuft in meinem Schatten. Wir kommen ohne Probleme an der Wache vorbei. Mörka ist zwar nicht allzu groß, aber ich bezweifle, dass alle Wachen sich kennen. Zu meinem Vorteil. Obwohl wir schon mal eine Führung hier hatten, ist meine Orientierung in dem Moment weg, in dem ich den nächsten Gang betrete. Aber Emely schubst mich immer in die Richtige Richtung. Es dauert nicht lange bis wir das Archiv betreten. Hier ist niemand also macht Emely sich wieder sichtbar. „Also… Nach was genau suchen wir?“ „Anscheinend nach einem Tagebuch. Wurde am 10 Mai konfisziert,“ lese ich kurz von dem Zettel. Emely verschwindet sofort zwischen den Regalen. Ich schaue mich zweifelnd um. Bis man hier irgendwas findet kann es ewig dauern… „Ich habe etwas!“ ruft Emely und schnell gehe ich zu ihr. „Mh?“ sie hält mir das kleine Lederbuch hin. Schnell nehme ich es und schlage die erste Seite auf. Wenn es das Richtige ist, müsste dort ein kleiner Stern sein. „Das ist es.“ Ich stecke das Buch schnell ein. Emely macht sich wieder unsichtbar. „Dann zurück,“ flüstert sie und ich gehe aus dem Archiv. Emely lenkt mich wieder durch die Gänge bis zum Ausgang. Ich nicke der Wache kurz zu. Das war doch mal- „Halt“ sagt diese und hält mich am Arm fest. Anscheinend nicht. „Schon Pause?“ „Ich soll nur kurz was holen,“ sage ich mit einem Zwinkern. Er versteht den Wink nicht. „Niemand soll während seiner Schicht das Gebäude verlassen.“ Na toll, so jemand. „Es ist ja nur kurz. Du kannst doch bestimmt mal eine kleine Ausnahme machen.“ Ich haue ihm leicht gegen die Schulter, aber er schaut mich immer noch dumm an. Mann, der ist aber schwer von Begriff. Ein lauter Knall lässt uns zusammenzucken. „Na. Das schaue ich mir besser mal an.“ Bevor er etwas erwidern kann, gehe ich schnell in die Richtung des Geräuschs und verschwinde in einer Gasse. „Folgt er mir?“ frage ich in die Dunkelheit. „Nein,“ antwortet Emely und ich nehme schnell wieder meine eigene Gestalt ein. „Das war ja mal einfach,“ sagt Emely neben mir wieder sichtbar. Ich schnaube nur, wiederspreche ihr aber nicht. „Okay. Ich bring das hier zurück und du gehst schonmal. Halt die Augen offen. Ich will nicht wieder von Sir Ludwig erwischt werden.“ Emely nickt leicht und verschwindet wieder in den Schatten. Ich schaue ihr kurz nach, bevor ich schnell zurück zu der Taverne laufe.
„Du siehst müde aus,“ begrüße ich Emely am nächsten Morgen. „Ach was,“ ist das Einzige, was sie sagt, bevor sie sich den Löffel in den Mund steckt. Ich lasse mich neben sie fallen und nehme mir ein Stück Brot. Wirklich Hunger habe ich nicht und so dauert es nicht lange bis wir beide im Gang vor dem Klassenzimmer stehen. „Und? Hat noch alles geklappt?“ fragt Emely. Ich nicke leicht. „Ja. Danke nochmal.“ „Irgendwann mache ich mir eine Strichliste und immer, wenn du 100-mal Danke sagst, musst du mit mir Shoppen gehen.“ Ich stöhne leicht auf. „Verschone mich.“ Emely lacht leise. „Das kannst du dir doch gar nicht leisten,“ ertönt eine hochnäsige Stimme und wir schauen beide zu Rick, der gerade den Gang auf uns zu läuft. Emely geht sofort einen Schritt vor, aber ich halte sie am Arm fest. „Nicht,“ murmel ich und Rick geht lachend an uns vorbei. „Ich sollte ihm meine Meinung sagen,“ murmelt Emely. „Und ich will nicht das du es tust.“ Emely verschränkt die Arme vor der Brust und ich seufze leise. „Ich weiß, du verstehst es nicht. Aber bitte.“ „Ich mache nichts, was du nicht willst,“ entgegnet Emely, aber ich weiß das sie Rick viel lieber hinterherlaufen und schlagen würde. „Danke.“ Sie verdreht die Augen „Noch ein Strich.“ Ich schlage ihr gegen den Arm. Als Emely nicht beim Abendessen auftaucht, weiß ich sofort das etwas nicht stimmt. Ja, sie ist oft zu spät, aber nicht, wenn es um Essen geht. „Weißt du, wo Emely ist?“ frage ich Luise. Sie hatte schließlich als letztes mir ihr Unterricht. „Nein… Sie ist schnell verschwunden,“ ich runzel die Stirn. Das klingt nicht nach Emely. „Ich glaube, sie hat wieder einen Zettel von…,“ Luise senkt die Stimme „Sam bekommen.“ Ich schaue sofort zu ihm. Er sitzt lachend ein Stück weiter. „Ich schaue nach ihr,“ sage ich zu Luise und stehe schnell auf. Dieser Idot ist einer der Gründe, wieso Emely letztes Jahr fast ihre Freude verloren hat. Inzwischen ist es zwar besser geworden, aber sie hält immer noch zu viel von ihm. Ich hätte ihn die Klippe runter stoßen sollen. Na ja, dafür ist es noch nicht zu spät. Aber zuerst Emely. Ich weiß genau, wo ich sie finde. Mein Blick gleitet kurz über die Aussicht, bevor ich zu ihr schaue. „Hey“, sage ich vorsichtig und setzte mich neben sie. Sie schaut nicht zu mir. „Die Aussicht wird nie langweilig,“ murmelt sie. Ich folge ihrem Blick. Sie hat Recht. Die Lichter der Stadt wirken klein und wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man in der Ferne die Lichter von Mehlin. Ich schaue wieder zu ihr rüber und lege ihr die Hand auf die Schulter. Ich weiß, dass Emely es nicht mag, wenn man sie mehr als nötig anfasst. Aber sie schüttelt meine Hand nicht ab, sondern drückt sich an mich. „Es tut mir leid,“ sage ich leise und ich höre ihr schwaches Lachen. „Hör auf dich zu entschuldigen.“ „Nie,“ gebe ich zurück. Langsam lehnt sie sich zurück und lächelt jetzt leicht „Danke.“ „Immer.“ Ich stoße ihr leicht mit der Schulter gegen den Arm. „Nur noch 1 Jahr. Dann sind wir hier raus.“ Emely lächelt mich an. „Ich weiß, dass du nicht daran denken willst, aber… das wird gut. Wir zwei. Zusammen auf Reisen. Wir werden etwas Bedeutendes machen und natürlich genug Pausen, damit du nicht stirbst.“ Ich schnaube leise und für einen kurzen Moment folge ich dieser Fantasie „und irgendwann findest du deine große Liebe,“ mache ich weiter „Wir kaufen Häuser. In verschiedenen Königreichen aber nicht mehr als eine Tagesreise voneinander entfernt.“ Emely legt den Kopf auf meine Schulter. „Wir bekommen unser Happy End.“ „Erstmal bekommen wir unseren Abschluss,“ entgegne ich. „Beides zusammen.“ „Natürlich.“ Ich schaue wieder auf die Stadt. Vielleicht soll es genauso sein. Wir beide. Irgendwann werde ich ihr sagen, wie wichtig sie mir ist. Dass sie der Grund ist, dass ich mich mehr traue. Dass sie der Grund ist, dass ich mich wohl fühle, offener bin. Aber das hat noch Zeit. Und ich weiß, dass sie es trotzdem weiß. Aber irgendwann, wenn wir unser Happy End haben, dann werde ich es ihr sagen und ich weiß jetzt schon, dass sie anfangen wird zu lachen, nur um mich dann zu umarmen. Und vielleicht ist es genau das, auf was ich mich an meisten freue… Auf uns.
Von Ronja
Diese Kurzgeschichte hat beim Schreibwettbewerb des Autorinnen-Netzwerks „Mörderische Schwestern“ 2025 den dritten Platz belegt. Hier mehr Infos zur Preisverleihung.